Yannick Berner - Ihr Aargauer Grossrat

Milizsystem unter Druck: Geld ist nicht die Lösung

Das Schweizer Milizsystem ist eine der grossartigsten Errungenschaften unserer Demokratie. Dass ein politisches Amt heute mehr Zeit in Anspruch nimmt als früher, das kann jedoch gut sein. Es liegt deshalb nahe, dass gerade Milizpolitikerinnen- und Politiker auf Gemeinde- oder Kantonsebene modernere Rahmenbedingungen fordern, um das politische Amt besser mit dem Beruf und der Familie zu vereinbaren. Anstatt auf bessere Rahmenbedingungen zu setzen, höre ich jedoch immer wieder Rufe nach mehr Geld für Milizpolitiker. Die Frage stellt sich: Ist es wirklich der Lohn, der das Engagement für unsere Gesellschaft ausmacht? 

Das Milizsystem braucht Idealismus, nicht Gehaltserhöhungen

Letztes Jahr hat der Grosse Rat im Kanton Aargau beschlossen, die Entschädigung für seine Mitglieder zu erhöhen. Ich war damals dagegen und finde es bis heute einen fragwürdigen Entscheid. Angeblich soll mehr Entschädigung helfen, mehr Menschen für die Politik zu gewinnen. Doch in Tat und Wahrheit führt dieser Entscheid nur dazu, dass der öffentliche Dienst immer mehr zur Berufspolitik verkommt. Etwas, was wir in der Schweiz gerade nicht haben und auch nicht brauchen. 

Die Stadt Zürich hat im Februar dieses Jahres ein Zeichen gegen mehr Berufspolitik gesetzt: Eine Mehrheit von Links bis Mitte forderte im Gemeinderat – dem Parlament der Stadt Zürich – eine massive Erhöhung der monatlichen Grundentschädigung von 260 Franken pro Monat auf 1000 Franken pro Monat. Begründet wurde die Forderung unter anderem damit, dass mittlerweile «jeder Sonntagabend für die Vorbereitung blockiert ist». Die Stadtzürcherinnen- und Zürcher lehnten die Erhöhung der Löhne für Gemeinderäte schliesslich ab. 

Auch Studien belegen: Mehr Geld bringt nicht mehr politische Beteiligung. Was wirklich fehlt, ist das Bewusstsein für das Gemeinwohl. Unsere Gesellschaft sollte Ehrenamt und Engagement wieder mehr wertschätzen, statt Politikerposten mit zusätzlichen Vergütungen aufzublähen. Natürlich ist es nicht einfach, genügend Kandidierende für Ämter zu finden – gerade in kleineren Gemeinden. Doch anstatt reflexartig nach mehr Lohn zu rufen, sollten wir an den Rahmenbedingungen arbeiten: flexiblere Arbeitszeiten, bessere digitale Möglichkeiten für Sitzungen und eine familienfreundliche Politik. 

Milizsystem oder doch lieber Berufspolitik? 

Ich zeige hier offen meinen Lohnausweis: Netto 9'220 CHF im Jahr für mein Amt als Grossrat im Kanton Aargau. Dies entspricht 22 Ganztagessitzungen im Jahr. Dazu kommen Kommissionssitzungen, Fraktionssitzungen, Events von Interessensgruppen, Verbandsanlässe und Parteianlässe. Die Vor- und Nachbereitungszeit der Sitzungen, das Aktenstudium und das Schreiben und Weibeln für Vorstösse sind dabei nicht eingerechnet. Je nach Aufwand ist man also schnell einen Tag pro Woche mit dem Amt als Grossrat beschäftigt. Politik ist kein Geschäftsmodell, sondern ein Dienst an der Gesellschaft. Wer für sein Engagement in der Milizpolitik primär finanzielle Entlöhnung will, ist fehl am Platz. Man kann auch ohne grossen Verdienst etwas für die Gesellschaft tun. Dass Politik heute viel Zeit in Anspruch nimmt, streite ich nicht ab. Die Zeiten haben sich geändert: Politisches Engagement erfordert heute eine unglaubliche Präsenz insbesondere auch auf Social Media, während immer komplexere Herausforderungen differenzierte Lösungen verlangen. Gleichzeitig sieht sich die Schweiz mit einer wachsenden Verrechtlichung konfrontiert, bedingt durch eine regelrechte Flut an parlamentarischen Vorstössen. 

Doch viel zu selten reden wir über die Vorteile und spannenden Seiten unserer Milizpolitik: Man kommt viel einfacher in Gespräche mit der Bevölkerung, da man genauso Teil davon ist, wie jede und jeder andere. Auch Politikerinnen und Politiker gehen ausserhalb der Sessionen am Morgen zur Arbeit und beschäftigen sich mit alltäglichen Themen. So ist der Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern gut gesichert. Die gesammelten Erfahrungen im Berufsleben werden in die Politik eingebracht und zusammen mit der Bevölkerung bringt man den bestmöglichen Mehrwert im Parlament. Die Frage bleibt dennoch relevant: Halten wir an unserem bewährten Milizsystem fest, das auf Einsatz und Gemeinsinn basiert oder wollen wir uns in Richtung Berufspolitik entwickeln, die sich in der Tendenz von den Menschen entfernt. Ich weiss, wofür ich stehe. Und ich hoffe, dass sich viele andere auch wieder daran erinnern, worum es in der Politik wirklich geht: Bestimmt nicht um das eigene Portemonnaie!

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